Die Hoffnung auf den Blues

Von Hendrik Achenbach

Manchmal muss man von einer erfreulichen Einzelmeinung ganz selbstbewusst auf die Allgemeinheit schließen. So wurde ich kürzlich darauf angesprochen, dass es schon seit längerer Zeit keinen Bericht aus dem Leben und Weben der besten Amateur-Bigband der Rhein-Neckar-Region gegeben habe und es doch schön wäre, mal wieder etwas von uns zu lesen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen und möchte Ihnen eingangs versichern, dass die kleine Durststrecke in der Berichterstattung ganz eindeutig nicht auf mangelnde musikalische Aktivität in der Walldorfer Zentrale zurückzuführen ist.

Das Gegenteil ist der Fall: Wir hatten nicht einmal eine richtige Weihnachtspause, weil der Auftritt mit Marc Marshall am 22. Februar natürlich besonders sorgfältig vorbereitet werden wollte und unser Bandleader Thomas S. uns entsprechend hart rangenommen hat.

Weg mit dem Lorbeerkranz

Nun liegt das alles hinter uns und wir blicken verzückt zurück. Das Scheinwerferlicht des Mannheimer Capitols und die Standing Ovations eines fantastischen Publikums in der inspirierenden Gegenwart eines großartigen Sängers haben wir am vergangenen Sonntagabend wie eine warme Dusche genossen, den Vorbereitungsstress der letzten Wochen damit locker abgespült und konnten schon am darauffolgenden Mittwoch wieder sauber und frisch zur nächsten Probe erscheinen. Schließlich nähern wir uns dem nächsten Highlight, einem Auftritt auf dem Jazz-Festival in St. Ingbert am 20. März, mit Riesenschritten.

Eingangs ergriffen unsere beiden führenden Köpfe, Bandleader Thomas S. und Präsident Ralf H. das Wort, um auf den Abend im Capitol zurückzublicken. Erfreuliche Dinge waren da zu hören, doch der wichtigste Satz des Bandleaders fiel am Ende seiner kleinen Ansprache: Nun gelte es, sich nicht auf den durch die Presse verliehenen Lorbeeren auszuruhen, sondern nach vorne zu blicken.

Startschwierigkeiten

Gesagt, getan, die Noten herausgeholt und los ging es. Der eine oder andere von uns mag beim ersten Stück (Wave) in Gedanken noch heimlich den Lorbeerkranz getragen haben, doch diesen Zustand wusste Thomas schnell zu beenden. Er konnte uns nämlich nachweisen, dass wir gleich wieder in ein altes Muster verfallen waren, das er uns schon seit längerem auszutreiben versucht. Der zweite Durchgang des Stückes zeigte nämlich, dass wir durchaus in der Lage sind, einen Titel, der länger nicht auf dem Notenständer gelegen hat, korrekt und konzentriert zu spielen. Warum, so der Bandleader, dann nicht gleich so? Man könne so viel Zeit sparen, wenn man die Stücke gleich richtig spiele.

Sie sehen also, es war schnell wieder alles beim Alten. Als nächstes Stück legte Thomas mit Anticipation eine eigene Komposition auf, brach den Vorgang aber nach wenigen Takten ab und grübelte daraufhin für einige Minuten über der Partitur, die er mit geheimnisvollen Bleistiftnotizen versah. Ich habe keine Ahnung, was er da trieb (auch hier also alles beim Alten), doch der Rest der Band nutzte die unverhoffte Pause für ein Schwätzchen und schien gänzlich unbekümmert.

Eine Nummer zu groß

Der Abend schien also ein wenig ereignislos dahinzuplätschern, als ich plötzlich Morgenluft witterte. Ich hatte Thomas nämlich vor der Probe, in einem Gespräch am Watercooler, mitgeteilt, dass ich mich ab sofort dem Blues verschreiben und selbigen zum Gegenstand meines Trompetenunterrichts machen werde. Als er dann mit One More Once einen echten Zwölftakter auflegte, konnte ich kaum erwarten, mich in eine Soloform zu stürzen, um herauszufinden, welche Defizite in der nächsten Unterrichtsstunde zu adressieren seien. Das Stück bietet ausreichend Platz für solistische Aktivitäten und ich rechnete mir gute Erfolgschancen aus, an die Reihe zu kommen. Umso größer war meine Enttäuschung, als der Bandleader sämtliche Soli dem Saxofonsatz zusprach. Und um meinen Blues komplett zu machen, raunte Tenorsaxofonist Harald S. mir kurz vor dem ersten Takt noch gut hörbar zu, dass mein Pullover eine Nummer zu groß sei.

Immer die Saxofone

Schadenfreude ist keine schöne Sache und steht einem Trompeter nicht gut zu Gesicht. Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, vielsagend die Augenbrauen zu heben, als Thomas den Saxofonen am Ende des Stücks die folgende Rückmeldung zu einer bestimmten Passage zukommen ließ: "Wenn ihr die Stelle gut spielen würdet, würde sie auch gut klingen. Ihr habt das Gefühl, ihr würdet die Noten kurz spielen, aber ihr spielt sie nicht kurz." Nun ja, was soll ich sagen? Muss man sich auf jeden Solohappen stürzen, den der Bandleader über den Zaun wirft? Oder sollte man nicht eher auf satzübergreifende Gerechtigkeit pochen und darauf hinweisen, dass die armen kleinen Trompeten noch gar nichts abbekommen haben?

Aber es gibt ja nicht nur einen Blues auf dieser Welt. Auch die nächste Nummer, The Critic's Choice, hat sich dieser besten Musikform von allen verschrieben und lädt motivierte Solisten ein, ihr ganzes Gefühl in 12 Takte und drei Akkorde zu kleiden. Doch auch hier war leider nichts zu holen, denn der komplette Solo-Bestand wurde einmal mehr den Holzbläsern zugesprochen.

Thomas hat uns lieb

Warum hat der Bandleader das getan? Warum hat er, der mit der Trompete groß geworden ist, sein eigen Fleisch und Blut so schmählich ignoriert? Die Antwort kann nur lauten: Weil er uns lieb hat. Weil er uns schonen wollte. Als letzte Nummer ließ er mit Pick up the Pieces nämlich ein Stück auflegen, das sich nicht nur über mindestens fünf Seiten erstreckt, sondern in endlosen Wiederholungen immer wieder dieselben Motive bringt, bis man sich in eine Art meditativen Dämmerzustand geblasen hat, in dem man bis auf das Brennen der anschwellenden Lippen nichts mehr spürt. Erst eine überraschende Soloeinlage des Bandleaders am Keyboard holte uns zurück in das Hier und Jetzt. Dann sagte Thomas den Satz, den er jeden Mittwoch irgendwann sagt: "Soll mir reichen für heute!" Beim Zusammenpacken freut sich dann so mancher schon wieder ein bisschen auf die nächste Probe - und hofft auf den nächsten Blues.

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Kommentare: 3
  • #1

    Thomas Siffling (Samstag, 28 Februar 2015 09:58)

    Der Blues sei mit Dir

  • #2

    Harald (Samstag, 28 Februar 2015 19:58)

    Lieber Hendrik,
    wenn der Pulli zu gross ist, bedeutet das, du hast abgenommen und bald ist dein Sixpack sichtbar.

  • #3

    Hendrik Achenbach (Sonntag, 01 März 2015 12:56)

    Bestimmt! :)