Ein bisschen Bühnenfeeling

Von Hendrik Achenbach

Dagmars berühmter Notenständer
Dagmars berühmter Notenständer

Die ersten Monate im Jahreslauf der SAP BIG BAND empfinde ich persönlich immer als sehr anstrengend. Es gibt im ersten Quartal üblicherweise wenige bis keine Auftritte. Trotzdem findet eine sehr intensive Probenarbeit statt, denn wie viele von Ihnen wissen, legen wir jedes Jahr ein komplett neues Programm auf und müssen folglich viele neue Stücke üben. Wenn man Routine darin hat, unbekannte Noten vom Blatt zu spielen, ist das nicht so schlimm. Wenn man mit unbekannten Noten so umgeht wie ich, ist das schlimm.

Einmal durch

Aber vorbei ist nun die Zeit der Trübsal und des Jammerns, wie schwer doch das Trompetespielen sei. Heute fand die erste Durchspielprobe für unseren Auftritt am 5. Mai statt.  Bei einer solchen Probe geht es nicht darum, komplizierte Stellen im Detail zu analysieren und immer wieder in den einzelnen Sätzen zu üben. Stattdessen versuchen wir, die Stücke komplett durchzuspielen, und dabei stellt sich schon ein bisschen Bühnenfeeling ein. Wobei dieses Gefühl natürlich etwas eingeschränkt ist, wenn man - wie heute der tapfere Posaunist Helmut G. - ganz alleine dasteht, weil der Rest des Satzes (a) zu spät, (b) entschuldigt oder (c) AWOL ist und man sich ohne Unterstützung durch The Chicken (die erste Nummer des heutigen Abends) kämpfen muss. Aber natürlich lässt sich ein Kerl wie Helmut von so etwas nicht ins Bockshorn jagen und sammelt dabei sogar noch Kraft, um später ein schönes Solo zu spielen.

Trompete gegen Urzeitmonster

Als zweite Nummer legte Thomas die Biene Maja auf und sagte kurz vor dem Einzählen: "Mal sehen, wie weit wir kommen." Schließlich hatten wir dieses Stück seit fünf Monaten nicht gespielt. Nun ja. Die ersten acht Takte kamen wie ein Brett, aber dann war es tatsächlich schon vorbei. So mancher von uns mag in diesem Moment zurückgedacht haben an unser letztes Mitarbeiterkonzet im November 2012, als wir die Melodie von der Biene, die Maja heißt, in Glanz und Gloria erschallen ließen und das Publikum, in spontanen Verbrüderungszenen einer glücklichen Kindheit gedenkend, den Kehrreim schunkelnd mitsang. Davon war heute Abend zunächst nicht mehr viel zu spüren. Doch bald wendete sich das Blatt und es gelang unserem CMO, uns unterbrechungsfrei bis Takt 86 zu führen. Dann gab es eine erneute Zäsur, begleitet von mahnenden Worten des musikalischen Leiters: "Präsenz hat nichts mit Lautstärke zu tun." Dritter Versuch, Soloteil. Konsul Toni D. holte tief Luft und ließ die goldene Trompete aus der Steiermark von der Leine. Und da war er wieder, der Zauber, den wir im November schon einmal gespürt hatten. Störend wirkte lediglich der neue, gigantisch große Flachbildfernseher, der seit einiger Zeit an der Wand des Walldorfer Schulungszentrums hängt und aus unerfindlichen Gründen mittwochsabends unbeholfene 3D-Animationen von großen urzeitlichen Wassergeschöpfen zeigt, die ihre hungrigen Kiefer auf- und zuschnappen lassen und kleinen urzeitlichen Wassergeschöpfen hinterherjagen. Doch bevor ich richtig darüber nachdenken konnte, was diese Bilder mir sagen wollen oder gar begann, Analogien zum richtigen Leben zu konstruieren, schlug die Zeitschaltuhr zu, der Bildschirm ging aus und unsere Sängerin Dagmar K. trat auf den Plan. 

Ralf hat es schon immer gewusst

Während sie damit beschäftigt war, die Gesangstechnik aufzubauen, spielte die Band die Swing-Nummer Beauty and the Beast. Und was soll ich Ihnen sagen: Wir haben das Ding genau einmal von vorne bis hinten gespielt und dann zufrieden weggelegt. Man ist versucht, das legendäre Radio-Interview zu zitieren, in dem unser Präsident Ralf H. im Brustton der Überzeugung folgende Behauptung aufstellte: "Swing können wir." Vielleicht ist das ja wirklich wahr? Ich bin zumindest nach wie vor der Meinung, dass unser Swing-Album Count to Ten ein besonderes Highlight unter unseren Aufnahmen darstellt.

Ein verhängnisvolles Zitat

Vor dem Gesangsteil der Probe gab es ein weiteres Instrumentalstück, Stolen Moments, bei dem sowohl Ralf H. als auch der einsame (mittlerweile aber durch Stefan P. unterstützte) Posaunist Helmut G. bewiesen, dass mit ihnen als Solisten zu rechnen ist. Anschließend geschah etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Unsere bezaubernde Sängerin suchte meine Nähe und stellte ihren berühmten Notenständer genau neben mir auf. Das war noch nie da. Der Notenständer ist deshalb berühmt, weil Thomas S. seine Existenz vehement bekämpft. Er beharrt darauf, dass "Milliarden andere Sängerinnen" ohne Notenständer auskommen. Da ich kein Sänger bin, kann ich das nicht bewerten. Unabhängig davon war es aber spannend, aus nächster Nähe mitzuerleben, wie Dagmar das Stück L.O.V.E. interpretierte. Beim ersten Durchgang kam sie nicht besonders weit, weil Thomas abbrach und unserem Pianisten Frank H. eine Rüge erteilte, weil dieser ein Zitat in das Intro eingebaut hatte, das offenbar Glenn Miller oder Benny Goodman zuzuschreiben ist. Wie es sich mit Mr. Goodman verhält, weiß ich nicht, aber Thomas hat schon vor Jahren angekündigt, dass der Tag, an dem die SAP BIG BAND ihre erste Glenn-Miller-Nummer spielt, seinen Abschied einläuten wird. Ein Miller-Zitat am Piano kann also durchaus als Affront durchgehen. Nun kennen wir Frank ja lange und gut genug, um sicher zu sein, dass ihm das höchstwahrscheinlich ganz unbewusst aus den Fingern gerutscht ist. Auf der anderen Seite passt dieses Vorkommnis in eigentümlicher Weise zu seinem kometenhaften Aufstieg im politischen Lager der Band, über den in kommenden Ausgaben dieses Blogs noch im Detail zu berichten sein wird.

Verfolgungsjagd

Zum offenen Konflikt zwischen Thomas und Dagmar kam es bei You Are My Star. Ich habe das Glück, dass ich den Text dieses Stückes schreiben durfte, finde, dass Dagmar es wunderschön singt und freute mich darauf, es aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Als die ersten Takte erklangen, ließ Thomas seinen athletischen Körper aus dem Stand in einer fließenden Bewegung nach vorne schnellen, schnappte sich das Textblatt von Dagmars Notenständer und ergriff damit die Flucht. Die Länge des Mikrofonkabels ermöglichte ihr zwar ansatzweise, ihn zu verfolgen, aber sie war trotzdem über weite Strecken darauf angewiesen, aus dem Gedächtnis zu singen oder auf die Textfetzen zu hören, die ich halblaut mitsang. Bei "There's no greater love / than the one we had", einer Zeile, die mir immer besonders ans Gemüt geht, war ein größerer Aussetzer zu verzeichnen, der mir natürlich besonders ans Gemüt ging, aber ansonsten lief es eigentlich ganz gut. Doch es sollte noch besser kommen.

Kreislauf und Sonderlob

Bei der drittletzten Nummer, Kung Fu Fighting, durfte ich ein Trompetensolo spielen. Obwohl ich eigentlich schon vorher Kreislauf hatte, gab ich alles, was dazu führte, dass ich mich bei den letzten beiden Stücken auf stilles Notenstudium beschränken musste. Auf diese Weise konnte ich aber den letzten beiden Gesangsnummern ganz entspannt zuhören, was sich auch wirklich lohnte. Für ihre Interpretation von Abracadabra konnte Dagmar ein Sonderlob vom CMO einheimsen und legte mit Teach Me Tonight dann gleich noch eins drauf. So muss das sein - ein tolles Programm, eine gute Probe und der nächste Auftritt kann kommen.