Voll aufs Zwerchfell

Von Hendrik Achenbach

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, heute nicht zum ersten Mal hier sind, sondern Ihre kostbare Zeit regelmäßig darauf verwenden, unsere äußerst fragwürdigen Probenberichte zu lesen, haben Sie sicher auch schon mitbekommen, dass die Performance dieser Band bei einer Generalprobe nicht vorhersagbar ist. Während man in anderen musikalischen Gruppierungen darauf vertraut, dass bei der letzten Probe vor dem Gig etwas, oder vielleicht auch alles, schiefgehen muss, weil dies ein gutes Vorzeichen für den eigentlichen Auftritt ist, zeigt eine kurze Durchsicht der bisherigen Generalprobenberichte eigentlich nur, dass man bei uns (a) nicht wissen kann, wie es laufen wird und (b) daraus auch nicht ableiten kann, ob der Auftritt glücken oder misslingen wird.

Einfach Frank fragen?

Notenmappe

Deswegen ging ich heute Abend mit einer gewissen fatalistischen Gelassenheit zur Generalprobe für unseren Auftritt bei Kultur im Park in Mannheim am 24. Mai 2012. Ein Punkt versprach allerdings spannend zu werden. Die Band hatte in den letzten Wochen in punkto "Ordnung im Notenmaterial" eine sehr durchschnittliche Performance gezeigt, die bei unserem Präsidenten Ralf H. zu äußerstem Unmut führte und den CMO Thomas S. zu der Bemerkung veranlasste, dass man sich ein solches Verhalten im Lager der Profimusiker normalerweise nur ein einziges Mal leisten könne.

Wer bei den Profis seine Noten verlegt, fliegt raus. Wer bei der SAP BIG BAND seine Noten verlegt, fragt Frank. Unser fantastischer Pianist Frank H. ist nämlich nicht nur nebenamtlicher Grafiker (siehe die Cover und Inlays unserer CDs), sondern auch neben-nebenamtlicher Notenwart und hilft notenlosen Musikerinnen und Musikern mit Extrakopien oder aufs Ehrenwort ausgeliehenen Originalen aus der Patsche. Dies führt zwar zu einem reibungsloseren Probenbetrieb, weil alle Stimmen vorhanden sind, hat aber leider auch zu einer gewissen Sorglosigkeit geführt. Zur Not kann man ja immer Frank fragen. Diesen Zustand wollte unser Präsident nun nicht länger dulden und kündigte im Vorfeld per E-Mail an, dass er fehlende Noten bei der Generalprobe nicht akzeptieren werde. Deswegen wurden in den Tagen und Stunden vor Probenbeginn noch hektisch PDF-Dateien per E-Mail ausgetauscht, um dem strafenden Blick des Chefs zu entgehen. Man konnte ja schließlich nicht wissen, welche Sanktionen er sich ausgedacht hatte, und siehe da: Es funktionierte. Alle hatten ihre Noten und wir konnten einfach spielen. Verrückte Welt.

 

Doch nicht so entspannt

Wenn ich es mir recht überlege, gab es aber noch ein weiteres Thema, das mich im Vorfeld der heutigen Probe bewegte. Auf dem Programm für morgen steht ein wunderbares Stück mit dem Titel Heartland, bei dem ich normalerweise ein Trompetensolo übernehme. Nun habe ich aber seit dem Gig im Spargelrestaurant Böser am 23. September 2011 kein Solo mehr gespielt. Bei diesem Auftritt war ich vor meinen Soli sehr nervös (vermutlich, weil ich zu wenig geübt hatte) und musste mir anschließend von unserem CMO die folgende Quittung gefallen lassen: "Wenn du aufgeregt bist, spielst du sehr laut, und wenn du sehr laut spielst, ist dein Ton scheiße." Sie müssen die kräftige Ausdrucksweise verzeihen - Thomas hat die Gabe, Dinge so deutlich zu machen, dass man sie sich zu Herzen nimmt. Das ist gut. Allerdings war mir erst einmal der Mut genommen und es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich mich nun wieder traue. Natürlich stand das Solo auch heute Abend bei der Generalprobe auf dem Programm. Ich hatte es geübt. Würde sich der Aufwand bezahlt machen?

Alles schön und gut, aber wie war sie denn nun, die Probe?

Stimmt, darüber sollten wir reden. Also schauen wir uns mal die wichtigsten Punkte an:

  • Die gesamte Probe litt ein wenig darunter, dass unser Schlagzeuger Olli B. im Flugzeug saß und somit nicht dabei sein konnte. Eine Bigband ohne Schlagzeug ist fast so schlimm wie eine Bigband ohne Trompeter. Das gibt es eigentlich gar nicht. Es fehlt etwas. Ganz konkret machte sich besonders bei den langsamen Stücken bemerkbar, dass das Uhrwerk nicht da war. Zum Glück wird Olli morgen dabei sein. Machen Sie sich also bitte keine Sorgen.
  • Bei Miss Fine spielte Konsul Toni D. wie gewohnt ein wunderschönes Solo, dessen Melodie eigentlich ausnotiert gehört. Er hörte aber zu früh auf - die Solo-Form war noch gar nicht vorbei. Von Thomas S. durch Handzeichen zum Weitermachen aufgefordert, setzte er seine goldene Trompete wieder an und entlockte ihr einen Urschrei, der das gesamte Schulungszentrum erzitternließ. Wir hatten kurzzeitig Bedenken, ob die Verglasung der Energie des Konsuls standhalten würde, doch er begab sich schon bald wieder in Frequenzbereiche, für die eine Trompete eigentlich vorgesehen ist. Freuen Sie sich auf Miss Fine beim morgigen Konzert.
  • In Vorbereitung auf die Generalprobe hatte ich meine Trompete auseinandergenommen, gebadet, gefettet und geölt. Leider dauert es nach einem solchen Vorgang eine Weile, bis sich das Öl gleichmäßig verteilt hat, so dass ich bei You Are My Star mit gelegentlichen Ladehemmungen zu kämpfen hatte.
  • Beim selben Stück wusste unser Gitarrist Jens W. mit einem Akkord zu überraschen, der bei aller Liebe zum Jazz doch als tonartfremd bezeichnet werden muss. Nun hat man bei gewissen Grifftechniken auf der Gitarre den Vorteil, dass man unauffällig einen Halbton nach oben rutschen kann, in dem man die Finger in unveränderter Stellung in den nächsten Bund schiebt. So konnte Jens sich retten. Er erklärte mir in der Pause, dass man in diesem Zusammenhang auch von der Jeff-Beck-Technik spreche. Wieder was gelernt. Noch besser gefiel mir allerdings das gefühlvolle Gitarrensolo bei You Are My Star - auch dies ist ein Highlight, auf das Sie sich freuen können.
  • Die Posaunen erhielten sowohl in der Probe als auch bei der Nachbesprechunghöchstes Lob vom CMO für ihren knackigen Sound. Na ja. War schon OK, was sie heute gespielt haben. Die Trompeten können ja nicht immer an der Spitze stehen. Also ich freue mich für die Kollegen. Ein schöner Erfolg. Ein Achtungserfolg.

 

Abracadabra

Die Anweisung "Harmon" im zweiten Takt in diesem Ausschnitt bedeutet, dassein bestimmter Dämpfer in die Trompete einzusetzen ist, der üblicherweise auf dem Boden steht. Leider befindet sich die Anweisung oben auf der zweiten Seite, so dass schon wertvolle Sekunden vergangen sind, bevor man seinen müden Blick von der rechten unteren Ecke der 1. Seite auf die linke obere Ecke der 2. Seite verlagert hat. Zu allem Überfluss bleibt der Dämpfer nur für einen einzigen Ton in der Trompete, denn die nächste Anweisung ("Open") bedeutet, dass man ihn wieder herausziehen und auf den Boden stellen muss. Dieser Vorgang lief, man muss es deutlich sagen, nicht reibungslos ab. Es klapperte und schepperte, Autoschlüssel fielen klirrend zu Boden und der gedämpfte Ton kam gerade noch rechtzeitig. Unser CMO war nicht amüsiert und wird sich sicher freuen, wenn das Ganze morgen besser funktioniert.

  • Zwischen zwei Stücken fiel mir auf, dass die Nummer The Way You Look Tonight zweimal auf dem Programm stand, das Thomas per E-Mail verschickt hatte: Einmal im 2. Set und noch einmal in der Reserve/Zugabe. Ich wies unseren Präsidenten Ralf H., der in der Probe meistens neben mir steht, darauf hin. Nach einer kurzen Bedenkzeit bat Ralf mich, Thomas auf den Sachverhalt anzusprechen. Ich meldete mich also zu Wort, stellte meine Frage, woraufhin der CMO mich scharf zurechtwies: Ich solle mir nicht den Kopf über seine Probleme zerbrechen und einfach spielen. Also spielte ich, doch der Verweis ließ mich natürlich betrübt zurück. Nach der Probe erfuhr ich, dass dieses Thema wohl schon öfters diskutiert wurde. Jetzt verstehe ich auch, warum Ralf die Frage nicht selbst gestellt hat. Thomas kündigte zu allem Überfluss an, diese Fragestellung auch morgen im Beisein des Publikums ansprechen zu wollen. Ich hoffe, er vergisst es, denn das kann eigentlich nicht gut für mich enden.
  • Unsere Sängerin Dagmar K. lieferte heute Abend wie üblich eine solide Leistung ab und wusste diesmal bei You Are My Star durch eine verbesserte Textfestigkeit zu überzeugen, worüber ich mich sehr freute. Umso überraschender traf uns dann ihr Lachanfall während der ersten Takte vonStreet Life. Wir sind gespannt, wie das morgen laufen wird. Aber Lachen ist ja gesund, insofern können Sie sich auf jeden Fall auf diese Zugabe freuen.

 

Alles schön und gut, aber wie war das mit dem Solo bei Heartland?

Zwerchfell

Ich war nicht völlig entspannt, als ich nach vorne ging, um mein Solo zu spielen. Früher durfte ich nach dem Bass-Solo an zweiter Stelle spielen, aber nun hat Thomas entschieden, dass erst der Bass, dann das Alt-Saxophon, dann das Piano und erst dann die Trompete dran ist. Das erhöht den Druck natürlich.

Trotzdem konnte ich in den ersten Takten das umsetzen, was ich zu Hause geübt hatte und war schon drauf und dran, mich zu freuen, als mich plötzlich ein Krampf in der Gegend des Zwerchfells packte. Es gelang mir, noch ein paar Töne zu spielen, doch am Ende der Solo-Form war erst einmal die Luft raus und ich musste pausieren. Unter diesen Voraussetzungen bin ich natürlich dann doch bereit, den Mythos von der misslungenen Generalprobe als Voraussetzung für einen gelungenen Auftritt zu akzeptieren. Schauen wir mal, wie es morgen läuft, aber freuen Sie sich ruhig auch auf Heartland. Das wird mir helfen.

Ein echter Mann ...

... übernimmt immer die Verantwortung. Wir waren uns spät am Abend alle einig, dass dieser Satz die Themen, die bei der Probennachbesprechung auf der Agenda standen, gut zusammenfasst. Ralf übernahm zum Beispiel die Verantwortung, als die Teilnehmer der Besprechung nach Hause gehen wollten und genervt waren, weil niemand zum Abkassieren kam. Flugs sprang er auf, kehrte wenig später mit der zuständigen Person an den Tisch zurück und hielt sogar noch die Taschenlampe, um den Abrechnungsvorgang zu beschleunigen. Es gibt aber auch viele andere Situationen, in denen man Verantwortung übernehmen kann, und wir besprachen auch diese in aller Ausführlichkeit. Leider ist dieser Bericht aber schon viel zu lang geworden, so dass ich die entsprechenden Details leider nicht mehr unterbringen kann. Verschieben wir dies also auf ein anderes Mal. Bis morgen!