Nichts von Eleganz: Freu dich aufs Ü-J-K!

Wenn Sie meine unregelmäßig erscheinenden Berichte aus dem Leben der SAP Big Band regelmäßig lesen, werden Sie möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass diese Band eigentlich ein hoffnungsloser Fall ist. Und tatsächlich vermag niemand zu sagen, wo wir heute, im 20. Jahr unseres Bestehens, ohne die Leidensfähigkeit unseres Bandleaders Thomas S. wären, der sich unermüdlich der Herkulesaufgabe stellt, eine bessere Band aus uns zu machen.

 

Man lernt nie aus

Manchmal habe ich gar den Eindruck, dass Thomas nicht Herkules, sondern eher den ähnlich vielbemühten Sisyphos ins Feld führen würde, um seine Aufgabe zu beschreiben, doch lassen wir das. Schließlich haben wir es in der Vergangenheit dann doch immer wieder geschafft, unserem Anspruch gerecht zu werden und jedes Jahr ein neues und anspruchsvolles Programm vorzustellen. Hier spielen neben der Aufopferungsbereitschaft des Bandleaders auch noch andere Faktoren eine Rolle, etwa die regelmäßige Zusammenarbeit mit Profi-Musikern, deren Lichtschein den Keim des musikalischen Ehrgeizes bei dem einen oder anderen noch einmal ganz neu austreiben lässt. Und nicht zuletzt investiert die Band ihre mühsam verdienten Gagen eben nicht nur in Aushilfen, Alkohol und Zigarren, sondern auch in die musikalische Weiterbildung ihrer Mitglieder.

 

Hier nimmt der Trompetensatz, wie könnte es anders sein, eine Vorbildfunktion ein. Erst am vergangenen Samstag konnte man uns fünf (die 4. Trompete ist doppelt besetzt) im Walldorfer Schulungszentrum finden, wo uns der Trompetenlehrer Ralf Werner K., bewaffnet mit allerlei überraschenden Ausrüstungsgegenständen, auf ganz neue Weise deutlich machte, was es eigentlich bedeutet, ein Blechblasinstrument zu spielen und was dabei in und mit unserem Körper geschieht.

 

G-T-T-L und Ü-J-K

Derart weitergebildet traten wir am 8. Juni 2016 mit gestählten Ringmuskeln und einem fröhlichen G-T-T-L (Ganz-Ton-Triolen-Lied) auf den Lippen zur Tutti-Probe an. Und beim Auspacken der Instrumente und Notenständer entging meinem frisch geschulten Auge nicht, dass die Satzkollegen mantraartig die Kardinalvokale vor sich hin murmelten (aaa äää eee iii eee äää aaa). Würde tatsächlich jemand etwas bemerken? Sollte sich im Vergleich mit den restlichen Blechbläsern gar ein deutlicher Leistungsunterschied herauskristallisieren?

 

Herkules-Sisyphos aka Thomas S. eröffnete die Probe mit einer eindeutigen Ansage: "Der Plan ist heute wie letzte Woche: Wir werden extrem viele Stücke durchspielen, nur eben nicht die Instrumentalnummern, sondern die Gesangsstücke für unser Jubiläums-Konzert mit X und Y."

 

An dieser Stelle entschuldige ich mich für die lästige Geheimniskrämerei. Natürlich stehen bei dem SAP-internen Ü-J-K (Überraschungs-Jubiläums-Konzert) am 21. Juli nicht X und Y mit uns auf der Bühne, sondern zwei echte Stars. Ich darf aber noch nicht verraten, wer es ist. Sonst kriege ich Ärger und bin raus. Deswegen kann ich im Folgenden auch nicht alle Titel verraten, weil sie zumindest dem Kenner einen Rückschluss auf die Künstler erlauben würden.

 

Gewagte Bilder und hoffnungslose Diskussionen

Die erste Nummer, die wir an diesem Abend probten, kann ich aber gefahrlos erwähnen. Crazy Love war ein guter und verhältnismäßig einfacher Einstieg in die Probe, wobei Thomas durchaus einen Verbesserungsvorschlag bereit hatte: "Diese Nummer muss einfach saucool gespielt werden. So dass einem vor lauter Coolness das Wasser aus der A****rinne läuft." Nun ja. Der eine oder andere mag dieses Bild als zu gewagt empfunden haben, aber letztendlich zählt natürlich, dass wir wissen, was Thomas von uns erwartet. 

 

Leider verstrickte sich unser Bassist Daniel W. bei einer der nächsten Nummern (Take It to the Limit) in eine dieser hinlänglich bekannten, ultimativ hoffnungslosen Diskussionen mit dem Bandleader, bei der es darum ging, ob ein Einsatz auf Schlag 4 oder auf Schlag 1 des Folgetaktes erfolgen sollte. Bei solchen Auseinandersetzungen ist es nämlich vollkommen unerheblich, was das Notenbild des Instrumentalisten oder gar die Partitur sagt. Ober sticht Unter. Der Chef entscheidet. Er allein weiß, was da ist, was da war und was da sein wird.

 

Zu allem Überfluss ließ Ralf H., unser frisch geschulter 3. Trompeter und Präsident, sich dazu hinreißen, Daniel lauthals zu raten, er solle sich einfach an den Trompeten orientieren. Solch kecke Äußerungen führen in dieser Band üblicherweise zu einem musikalischen Begräbnis erster Klasse, bei dem Thomas S. die Grabrede hält. Die Beisetzung schließt sich üblicherweise an ein kurzes, öffentliches Einzel-Vorspiel an. Nicht jedoch in diesem Fall. Stattdessen führte auch der Bandleader die Trompeten – genauer gesagt, unseren Lead-Trompeter Michael K., der offenbar instinktiv alles richtig gemacht hatte – ins Feld und erklärte bezüglich der Schluss-Sequenz: "Orientiert euch an Michael. Es darf nichts von Eleganz haben."

 

Unmenschliche Herausforderungen

Ich halte es für möglich, dass Schlagzeuger Olli B. diesen Rat dann doch etwas zu frei interpretierte. Als Thomas nämlich bei der nächsten Nummer, deren Titel geheim bleiben muss, unserem Pianisten Frank W. erklärte, dass er an einer entscheidenden Stelle erst auf Schlag 3 einzusetzen habe, rief Olli in die Runde: "Das ist doch jetzt nicht so wichtig." Ich kann mir nicht erklären, warum ein solcher Beitrag ohne jegliche Konsequenzen blieb, zumal die ultimative Standpauke des Chefs, die uns an diesem Abend noch ereilen sollte, sich schon wie schwarze Gewitterwolken am Horizont zusammenbraute.

 

Vorher machte ich aber noch die schmerzliche Erfahrung, dass selbst ein eisenharter Ringmuskel (falls Sie sich schon Sorgen machen: Es geht hier bei diesem Begriff ausschließlich um Musculus orbicularis oris) nicht vor Unheil schützt, wenn man entweder kein Italienisch oder nicht lesen kann. Ich übersah nämlich die Anweisung DAL SEGNO SENZA REP., die frei übersetzt folgendes bedeutet: "Spiele vom Zeichen, aber lass die Wiederholung weg". Ich spielte irgendetwas, sicher irgendwann auch vom Zeichen, aber die Rückkehr in den musikalischen Gesamtprozess gelang mir erst in den allerletzten Takten. In solchen Situationen sind eine ausgezeichnete Playback-Mimik und ein anschließendes Pokerface absolut überlebenswichtig. So etwas lernt man auf keinem Workshop. So etwas lernt man durch Misserfolg. Vor allem, wenn man kein Italienisch oder nicht lesen kann.

 

Zum Glück merkte Thomas S. nichts von meinem Ungeschick oder entschied sich im Stillen, mich zu schonen. Als es aber daran ging, die Stücke zu proben, die wir am 21. Juni nicht mit X, sondern mit Y aufführen werden, ereilte sein Zorn uns alle. Da ging es zum Beispiel um 32tel-Noten, die vom Trompetensatz zu spielen waren. Hier hilft ein gestählter Musculus schon eher weiter, aber auch nicht jedem. Falls Sie kein Instrument spielen, können Sie sich den Schwierigkeitsgrad wie folgt vor Augen führen:

  1. Zählen Sie in "normalem" Tempo bis vier (also etwas eine Zahl pro Sekunde) und klatschen Sie bei jeder Zahl einmal in die Hände. Dieses Tempo nennen wir Viertel.
  2. Wandeln Sie die Übung ab, indem Sie in demselben Tempo zählen, aber zweimal pro Zahl in die Hände klatschen. Damit klatschen Sie Achtel.
  3. Es geht weiter wie bisher, aber nun klatschen Sie viermal pro Zahl. Das sind die Sechzehntel.
  4. Zu guter Letzt dürfen Sie achtmal pro Zahl klatschen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was es heißt, Zweiunddreißigstel zu spielen. Unmenschlich, oder?

Das dicke Ende kommt zuletzt

Zum Glück blieben wir nicht alleine mit solchen Herausforderungen. Alle Sätze scheiterten hier und da, und Thomas scheute sich nicht, zu dem einzigen Mittel zu greifen, das hilft: direktes, leistungsbezogenes Feedback. Wir decken aber besser den Mantel der Diskretion über das, was folgte.

 

Als Ergebnis, so viel sei gesagt, ist uns allen klar: Es ist unser Jubiläumskonzert. Viele wichtige Menschen werden dabei sein – auf und vor der Bühne. Wir sind die, die es hinkriegen müssen.

 

Die Probe endete übrigens noch mit einer Überraschung, als Thomas die dritten und vierten Stimmen der jeweiligen Sätze (Saxofone, Posaunen, Trompeten) nach Hause schickte und den Rest aufforderte, zu bleiben. Selbstredend blieb ich entgegen dieser Anweisung auch, um zu verstehen, was man mit der Hälfte der Bläser und einer ganzen Rhythmusgruppe anfangen kann. Jetzt weiß ich es und kann nur zu Folgendem raten: Wenn du bei SAP arbeitest, oder jemanden kennst, der es tut, solltest du dir am 21. Juli besser nichts vornehmen. Wir haben da was für dich vorbereitet. Etwas sehr Schönes. Und wir werden es so richtig gut hinkriegen.

 

 

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