13+4 für Luxemburg

Von Hendrik Achenbach

Musikalische Felder

Wenn eine Big Band in die Jahre kommt, können verschiedene Dinge passieren. Die musikalischen Felder, die man gemeinhin mit einem solchen Klangkörper verbindet, wurden alle mindestens einmal besucht und im Idealfall sogar mit einer Aufnahme dokumentiert. Klassischer Swing im Count-Basie-Stil, Latin, Funk – wir haben alle diese Stilrichtungen gespielt und spielen sie immer noch und immer wieder gerne. Aber natürlich erweitert sich das Repertoire auf der Suche nach neuem, unverbrauchtem Material auch, was sich in unserer aktuellen CD (You’re Up!), die dem modernen europäischen Jazz gewidmet ist, widerspiegelt.

Wenn wir die Metapher vom musikalischen Feld einmal wörtlich nehmen, sehen wir aber auch hier eine Erweiterung. Natürlich sind einer Band, deren Musikerinnen und Musiker sich tagsüber ihren Brotberufen widmen müssen, gewisse geographische Grenzen gesetzt (wobei viele von uns sicher sofort bereit wären, ins Flugzeug zu steigen, um den Jazz aus Walldorf in die Welt zu tragen). Und es steht außer Frage, dass wir nach wie vor gerne und oft in unserer Region spielen. Trotzdem ziehen wir in letzter Zeit unsere Kreise gerne auch etwas weiter und werden am Wochenende unsere Koffer packen, um nach Luxemburg fahren und dort auf der Blues 'n Jazz Rallye zu spielen.

Alles hat zwei Seiten

Unser CMO Thomas S. war in den letzten Wochen so oft es ging dabei, aber eben auch sehr viel als Trompeter unterwegs, so dass wir einige Proben und sogar einen Auftritt ohne ihn durchführen mussten. Das ist aber nicht so schlimm, wie es klingt. Die gelegentliche Abwesenheit des Bandleaders hat durchaus positive Aspekte – man merkt zum Beispiel, dass es wirklich hilfreich sein kann, in den Pausen zu zählen, wenn vorne keiner steht, der die Einsätze verteilt.

Auf der anderen Seite besteht natürlich die Gefahr, dass ein gewisser Schlendrian einkehrt. Den Dämpfer nicht rechtzeitig zur Hand gehabt? Egal! Die Posaunen kehren uns den Rücken zu, die Saxophone wissen nicht, was ein Dämpfer ist und der Rhythmusgruppe ist es egal. Hat also keiner gemerkt, denn der Alte ist ja nicht da. Einsatz verpasst? Mehr als ein kritischer Seitenblick unseres Präsidenten Ralf H. steht nicht zu befürchten, und was diese Blicke angeht, gibt es ja bereits einen gewissen Gewöhnungseffekt. Also auch egal.

Der CMO ist wieder da

Dieses Lotterleben hatte heute Abend ein Ende, denn der CMO war zurück und hatte sich eine sportliche Generalprobe für Luxemburg vorgenommen. Mit dreizehn Nummern in einem großen Set und vier Reservestücken für die zu erhoffenden Zugaben haben wir ganz schön viel Stoff für diesen Auftritt, der - um die Metapher zum dritten Mal zu bemühen und damit endgültig zu killen - alle musikalischen Felder bedienen wird, auf denen wir uns zu Hause fühlen. Bevor es richtig losging, gab es aber erst mal eine ordentliche Abreibung, bei der Thomas uns unmissverständlich deutlich machte, dass Diskussionen über Programmänderungen unerwünscht sind. In diesem Fall hatte sich die 13+4-Aufteilung in letzter Minute, bedingt durch präzisierte Zeitangaben des Veranstalters, ergeben und dabei war wohl auch das eine oder andere Solo weggefallen. So etwas ist natürlich im Einzelfall enttäuschend und es ist auch nicht lustig, eine Standpauke vom Bandleader abzukriegen. Trotzdem fällt es mir leicht, darüber zu berichten, denn auch das zeichnet eine 17-jährige, gereifte Band aus: Sie kann so etwas wegstecken. Thomas gelang es auch, das Thema positiv umzudeuten und die Tatsache, dass uns mittlerweile die Soli ausgehen, weil fast jeder spielen will, entsprechend hervorzuheben und wertzuschätzen. So war nach wenigen Minuten die Stimmung wieder gut und wir machten uns an die Arbeit. Lassen Sie uns also exemplarisch einige Stücke hervorheben - wer das komplette 13+4-Paket haben möchte, ist herzlich eingeladen, uns am Samstag nach Luxemburg zu folgen.

Berühmte Blicke

Als erste Nummer lag Groove Merchant auf. Vor diesem Stück war ich etwas angespannt, denn in der letzten Tuttiprobe, die ohne Thomas stattfand, hatte ich kurzfristig das Trompetensolo übernommen. Unser Konsul Toni D. ist aufgrund seines steirischen Gehörs in der Lage, bei jedem Stück ein Solo zu spielen und kann deswegen auch ganz cool mal eins abgeben. Das war bei diesem Stück passiert, aber Thomas wusste natürlich nichts davon und warf mir einen seiner berühmten Blicke zu, als ich nach vorne ging.

Kurz vorher hatte ich Toni noch zugeflüstert: "Das Solo ist in G, oder?" In gänzlicher Unkenntnis der angewandten Harmonielehre bezog sich meine Frage eigentlich nur darauf, welcher der mit Großbuchstaben bezeichneten Abschnitte im Notenmaterial für das Solo zu nutzen sei, doch ohne zu zögern begann der Konsul damit, über die G-Blues-Tonleiter zu referieren. Was bei mir komplett nutzlos war, weil ich mir die richtigen Töne für meine Soli eher optisch, also anhand der Ventilsätze merke, weil es hier nur sechs Kombinationen gibt (0, 1, 12, 123, 13, 23). Wie dem auch sei, mutig ging ich nach vorne und blies. Auf die Rückmeldung zu meiner Leistung musste ich aber eine ganze Weile warten. Dazu später mehr.

Weiterbildung an der Posaune.

Ich bin immer ganz entmutigt, wenn ich die vorschriftsmäßig mit Tesafilm verbundenen Notenblätter von Stolen Moments entfalte, weil das Stück so lang ist. Natürlich vergesse ich immer, dass die Nummer auch über lange Soloformen verfügt, bei denen ich einfach nur zuhören muss. Den Anfang machte Ralf H. mit einem gefühlvollen Solo auf seiner stilvoll patinierten Trompete. Abgelöst wurde er von Helmut G., von dem man sich erzählt, dass er modernste Weiterbildungstechniken einsetzt, um seine solistischen Fähigkeiten immer weiter auszubilden. Ich muss ihn unbedingt fragen, was sein Geheimnis ist.

Manchmal reichen zwei Akkorde

Der Auftritt in Luxemburg wird sicher etwas ganz Besonderes - und das nicht zuletzt deswegen, weil ein Bandmitglied mit dabei ist, das wir die meiste Zeit schmerzlich vermissen: Peter Hinsbeeck kann nur noch sehr selten dabei sein, weil er nicht mehr in Deutschland lebt. Er ist nicht nur ein begnadeter Saxophonist, sondern hat auch eine der Nummern auf der Setlist für Samstag arrangiert. Linus and Lucy, so der Titel des Stücks, ist die Titelmelodie der Fernsehserie Charlie Brown. Thomas musste Peter tatsächlich überreden, das Solo bei diesem Stück zu übernehmen. Ob der Hinweis, dass die Soloform nur aus zwei Akkorden bestehe, Peter letztendlich überzeugt hat, weiß man nicht. Er hat auf jeden Fall alles herausgeholt, was man aus zwei Akkorden herausholen kann. Vermutlich hat er heimlich noch weitere Tonarten eingebaut, mit denen keiner gerechnet hat.

Alles auswendig

Die Besonderheit bei Slightly out of Tune (Desafinado) liegt in einem kombinierten Solo von Gesangsstimme (Dagmar K.) und Trompete (Michael K.) Ich stehe ja total auf diese nachgesungenen Soli. Womit ich gleich eine trompetenzentrische Perspektive einnehme, denn man könnte natürlich auch sagen, dass Michael das nachspielt, was Dagmar singt. Ist aber nicht so, ätsch.

 

Bevor es losging, schlug Thomas vor, dass Michael sich zu Dagmar ins Scheinwerferlicht gesellen solle, was aber logistische Schwierigkeiten mit sich gebracht hätte, weil es sich um ein ausnotiertes Solo handelt.

 

Dagmar (zu Michael): "Brauchst du Noten?"

Michael: "Ja."

Dagmar: "Also ich kann das Solo auswendig!"

Gelächter und Kommentar aus dem Hintergrund: "Es hat ja auch keinen Text."

 

Letztendlich löste Dagmar die Situation ganz charmant auf, indem sie während des Solos einfach einen Spaziergang nach hinten machte und sich singend auf Michael zubewegte. Ich glaube, die Posaunen, die leider immer vor uns stehen, wurden kurzzeitig nervös, weil Dagmar hinter ihnen vor sich hinträllerte, aber man kann beim besten Willen nicht auf alle Randgruppen Rücksicht nehmen. Insgesamt war das schon richtig so.

Was für ein Loser

Bevor wir Kung-Fu Fighting spielten, fragte unser CMO mich, ob ich wieder das Trompetensolo bei diesem Stück übernehmen wolle. Er schaute mich dabei ungläubig an, was mich natürlich erst einmal extrem nervös machte, weshalb ich wie ein echter Loser antwortete: "Ja, eigentlich schon. Wieso? Will jemand anders? Ich meine ..." Das war ganz schwach, Sie merken es.

 

Thomas erwiderte: "Och, nein, ich meine, du hast ja auch bei Groove Merchant schon ganz gut gespielt. Überraschenderweise."

 

Um es kurz zu machen: Das Solo war wohl ganz okay, denn nach getaner Arbeit machte Thomas mir das größte Kompliment, zu dem er sich wohl jemals durchringen wird und fragte mich, ob ich heimlich Trompetenunterricht bei unserem Präsidenten Ralf H. nehme. Ich muss zugeben, dass mich diese Vorstellung für einen winzigen Moment irritierte, bis ich verstand, dass es eigentlich eine geniale Idee ist. Denn sind wir doch mal ehrlich: Ich habe in meinem Leben schon so unglaublich viel Schönes von Ralf lernen können. Wie man Achtel wirklich kurz spielt. Worauf es beim Latin eigentlich ankommt. Weshalb es wichtig ist, schön leise zu spielen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Warum also nicht auch das Solospiel? Ich muss Ralf mal nach seinen Konditionen fragen. Vermutlich kann ich es mir gar nicht leisten, von ihm gecoacht zu werden, aber fragen kostet ja nichts.

Ein bisschen zu früh

Die Rechnung kommt immer am Schluss und trotzdem zu früh. Von meinem zukünftigen Ruhm als Trompetenstar träumend, setzte ich bei der letzten Nummer (Teach Me Tonight) ungefähr zweieinhalb Schläge vor dem Rest der Band ein. Thomas S., der mich kurz vorher noch dafür gelobt hatte, dass ich den "ungeraden Auftakt" bei meinem letzten Solo gemeistert hatte (ich habe keine Ahnung, was er damit meinte), warf mir daraufhin einen Blick zu, dessen Bedeutung ich lieber nicht ergründen möchte. Zum Glück ließ Dagmar sich davon nicht beirren und sang dieses wunderschöne Stück in gewohnt lasziver Manier, die Hand auf dem Bauch und den Kopf im Scheinwerferlicht. So ging eine ereignisreiche Probe versöhnlich und stimmungsvoll zu Ende. Jetzt heißt es Koffer packen. Wir sehen uns in Luxemburg.