Genießen Sie das Leben

Von Hendrik Achenbach

Die mittlerweile fast sechzehnjährige Geschichte der SAP BIG BAND ist leider weit davon entfernt, vollständig dokumentiert zu sein. Zumindest aber zeigen die 124 Berichte in diesem Blog, dass es noch nicht allzu häufig, eventuell gar noch niemals vorgekommen ist, dass die erste Probe nach der Sommerpause gleichzeitig die Generalprobe für den ersten Auftritt war. Genau diese - potenziell unheilvolle - Kombination lag heute aber vor, denn wir hatten uns nach der letzten Tuttiprobe am 25. Juli in alle Sommerwinde zerstreut und kamen erst heute, zumindest teilweise gut ausgeruht und braun gebrannt, wieder zusammen, um uns auf den Jazz-Frühschoppen am kommenden Sonntag vorzubereiten, zu dem uns die Schwetzinger Zeitung und die Sparkasse Heidelberg eingeladen haben.

Lernerlebnis in der Satzprobe

"Jazz-Frühschoppen" - das klingt nach Geselligkeit, Tiefenentspannung und der ersten Rieslingschorle um 11.00 Uhr vormittags. Vermutlich hat so eine Veranstaltung auch genau diese angenehmen Eigenschaften, wenn man im Publikum sitzt. Für uns bedeutet ein Jazz-Frühschoppen aber, an einem Sonntagvormittag ein vollständiges Konzert in gewohnter Qualität abzuliefern. Deswegen hatten sich die Trompeten selbstverständlich schon am 5. September getroffen, um die wichtigsten Stücke für das Konzert durchzuspielen. In dieser Satzprobe herrschte kurzzeitig Verwirrung, weil ich eine schwierige Stelle in Abwesenheit des Schlagzeugs nur meistern konnte, indem ich mit dem Fuß Achtelschläge ausführte, was auf Grund der erforderlichen Schlaggeschwindigkeit leider nicht ganz geräuschlos ablief.
Leadtrompeter Michael K. gab daraufhin zu bedenken, dass man genauso gut Viertel zählen und die Aufwärtsbewegung des Fußes als Achtelschlag nutzen könne. Ich muss sagen, so habe ich das noch nie gesehen. Aber man weiß ja, dass selbst einfachste musikalische Grundprinzipien immer noch dazu geeignet sind, mich erstaunen zu lassen, wenn ich sie irgendwann durchschaue. Die Satzprobe hielt also zumindest für mich ein wertvolles Lernerlebnis bereit. Ich bin aber ziemlich sicher, dass auch die anderen davon profitiert haben. Leider mussten wir in der Satzprobe auf die Gesellschaft unseres Präsidenten Ralf H. verzichten, der grundsätzlich zwar ein äußerst aktives Mitglied des Trompetensatzes ist, zum Zeitpunkt der Satzprobe aber noch in der Urlaubssonne lag. Dies sollte sich in der heutigen Probe rächen.
Die Rhythmusgruppe (inklusive Sängerin) wurde am 5. September ebenfalls im Walldorfer Schulungszentrum bei einer Probe beobachtet. Ob die Posaunen, die als echte Blechbläser zumindest eine rudimentäres Qualitätsverantwortungsgefühl besitzen sollten, ebenfalls pünktlich in die Vorbereitung eingestiegen sind, ist leider unklar. Gleiches gilt für die Saxofone, die als Holzbläser aber natürlich mit anderen Maßstäben gemessen werden müssen.

Der CMO ist wieder da

Wie dem auch sei, keine noch so gute Satzprobe kann eine Gesamtprobe unter der Führung unseres Chief Musical Officers Thomas S. ersetzen. Obwohl die Probe heute Abend - passend zum Ende der Sommerpause - bei 13,5 °C und starkem Regen begann, trat er gut gelaunt, im kurzärmeligen Hemd und mit einer Extraportion Energie vor die Band, nachdem er kurzerhand eine Kreisaufstellung an einer völlig neuen Position im Foyer des Walldorfer Schulungszentrums angeordnet hatte. Passend zum 12. September 2012 packte er noch sein neues iPhone aus, und dann ging es so richtig los. Zweieinhalb (!) Stunden später, als wir unsere Sachen wieder einpackten und völlig erschöpft beschlossen, keine Probennachbesprechung mit Umtrunk durchzuführen, bemerkte Ralf H. mit schwacher Stimme, dass er froh sei, am vergangenen Sonntag noch schnell geübt zu haben. Thomas bescheinigte ihm aber umgehend, dass man davon nichts gemerkt habe. Natürlich handelte es sich dabei um einen harmlosen Scherz - oder? Schauen wir uns doch mal an, was in diesen zweieinhalb Stunden so alles passiert ist.

Fliegender Wechsel

Bei der ersten Nummer handelte es sich gleich um eine ordentliche Packung - zumindest für die Trompeten. Sussudio besteht aus sechs Seiten und ganz schön vielen Noten. Nicht gerade einfacher wurde die ganze Sache dadurch, dass Ralf H. mittendrin beschloss, die Stimme zu wechseln. Die Kenner unter Ihnen wissen, dass Ralf und ich nicht die gleiche, aber dieselbe Stimme spielen (3. Trompete), weshalb ich ihm in einem flüchtigen Anflug von Wohlwollen angeboten hatte, meine Noten mitzubenutzen. So musste er sich keinen Notenständer aus dem Keller holen - schließlich hat der Mann es schwer genug. Als er beiSussudio aber merkte, dass ich die Noten der 5. Trompete (diese Stimme gibt es nur bei manchen Stücken) aufliegen hatte, wurde er nervös und begründete dies damit, dass ein Fehlen der 3. Trompete unweigerlich dazu führen müsse, dass die "Glocke" nicht mehr funktioniere. Nun ist Ralf aber ein Macher und geht Missstände, die er einmal identifiziert hat, umgehend an, so dass sich innerhalb weniger Sekunden ein neuer Papierstapel (die sechs Seiten der 3. Stimme) auf meinem Notenständer einfand, begleitet von der Frage: "Wo waren wir?" Und all dies im laufenden Betrieb. Es ist eigentlich ein Wunder, dass wir keinen Anpfiff von Thomas kassiert haben.

Er singt und tanzt

Viel entspannter wurde die Situation bei der nächsten Nummer, Miss Fine. Hier traten gleich drei Musikerinnen und Musiker in den Vordergrund, die alle zu den hervorragenden Solisten in der Band gehören: Konsul Toni D. an der Trompete (der anschließend ein dediziertes Lob vom CMO erhielt), Jens W. an der Gitarre und Anna T. am Bariton-Saxofon. Wobei zwischen Anna und Thomas heute Abend eine merkwürdige Spannung herrschte. Thomas hatte eingangs erwähnt, in der letzten Woche viel Zeit auf einem Workshop verbracht zu haben, an dem Anna auch teilgenommen hat. Gelegentliche Anspielungen auf diese Zeit vermochten Anna heute aber nicht aus der Reserve zu locken - sie reagierte nur mit Blicken, was natürlich nicht völlig ungefährlich sein muss. Hier gilt es, weitere Recherchen anzustellen. Allerdings kann man nicht behaupten, dass unser CMO besonders verunsichert wirkte. Im Gegenteil, er tanzte nicht nur bei den dazu geeigneten Stücken wie ein junger Hüpfer (der er natürlich irgendwie auch noch so halbwegs ist) durch die Gegend, sondern wusste das beklagenswerte Fehlen unserer Sängerin Dagmar K. auch durch eigene Gesangseinlagen zu kompensieren. Dabei bewies er einen gewaltigen Stimmumfang - vom Brummbass bis zum Countertenor. Wenn man an der ganzen Sache überhaupt irgendetwas kritisieren wollte, wäre das die Lautstärke. Er müsste einfach lauter singen.

Die Grundfesten geraten ins Wanken

Nach einigen weiteren Stücken - wir haben heute Abend das komplette Programm für Schwetzingen, also 17 Stücke, durchgespielt - war die Gesangsnummer Sway dran. Als Thomas die Frage stellte, ob wir dieses Stück wirklich üben müssten, gab es eine Überraschung. Präsident Ralf H. antwortete kurzerhand: "Wir spielen alles durch!", und Thomas fügte sich. Verstehen Sie? Es gab eine musikalische Entscheidung zu treffen, Ralf meldete sich zu Wort (das tut er ständig), aber Thomas ließ ihn nicht abblitzen (das tut er nämlich eigentlich auch ständig), nein, ganz im Gegenteil, er akzeptierte die Wortmeldung und setzte sie in die Tat um.
Es ist ein komisches Gefühl, wenn sich etwas, an dessen Unveränderlichkeit man fest geglaubt hat, plötzlich ändert. Und noch komischer ist es, wenn sich an einem Abend mehrere Dinge, an deren Unveränderlichkeit man geglaubt hat, sozusagen die Grundfesten des Lebens in unserer Band, ändern. Kurze Zeit später nämlich, als wir eine Pause machten und die Sprache auf die Kleiderordnung für das Konzert am Sonntag kam, geschah es noch einmal. Thomas ordnete zwar an, dass wir im üblichen Outfit auflaufen sollten (Herren: dunkler Anzug, einfarbiges Hemd, keine Krawatte, geschlossene Schuhe; Damen: schick), doch gleichzeitig empfahl er, bei wetterbedingtem Bedarf ein "zusätzliches T-Shirt unter dem Hemd" einzuplanen. Unglaublich! Es geht mir nicht so sehr um die Tatsache, dass ein zusätzliches T-Shirt im Wortsinne bedeuten würde, dass man zwei T-Shirts unter dem Hemd trüge, was ich persönlich als unangenehm empfinden würde, sondern darum, dass Thomas sich überhaupt dazu hinreißen lässt, die Kombination von Hemd und T-Shirt zu empfehlen. Er fängt ja normalerweise schon an zu lästern, wenn man ein Unterhemd unter dem Hemd trägt, obwohl dieses Kleidungsstück im Gegensatz zu den bekannten weißen T-Shirts aus dem praktischen Dreierpack so geschnitten ist, dass es nicht aus dem Hemdkragen hervorleuchtet wie die Schürze eines Rehs auf der Flucht. Nun aber erlaubt er plötzlich Dinge, die er noch vor wenigen Wochen weit von sich gewiesen und bei anderen auf das Allerschärfste verurteilt hätte. Ich weiß nicht, was im Urlaub mit ihm passiert ist. Das müssen wir uns noch genauer anschauen.

Beneidenswerte Blasleistung

Als erste Nummer nach der Pause wird am Sonntag Heartland dran sein. Hier übernehme ich normalerweise das Trompetensolo. Mir war heute Abend nicht wohl dabei, weil ich in den letzten Wochen nicht immer den erforderlichen Fleiß aufbringen konnte, um Trompete zu üben. Trotzdem gelang es mir, das Solo ohne allzu viele falsche Töne abzuschließen. Unser CMO sparte sowohl mit Lob als auch mit Kritik, empfahl mir aber zumindest, die Trompete zwischendurch immer mal wieder abzusetzen und bis vier zu zählen, um "die Phrasen richtig wirken" zu lassen. Das ist sicher kein schlechter Tipp, zumal diese kurzen Unterbrechungen auch als Verschnaufspausen genutzt werden können. Allerdings zeigte sich einige Zeit später, bei der allerletzten Nummer (The Simpsons), dass diese Tricks nicht für jeden gleichermaßen geeignet sind. Bernd S. spielte hier ein Posaunensolo und wusste erst gar nicht, was Thomas ihm sagen wollte, als er ihm in Zeichensprache bedeutete, dass er die Posaune ab und zu absetzen solle. Als er es schließlich verstand, nahm das Unheil seinen Lauf. Dazu muss man wissen, dass Bernd eine konstante Blasleistung aufbringt, die in freier Wildbahn nur bei ausgewachsenen Blauwalen beobachten werden kann. Der Mann verfügt über einen beneidenswerten Ansatz. So möchte ich mal ins Horn stoßen können. Es ist mir schleierhaft, wie seine Posaune das aushält, aber der Klang gibt ihm recht. Und wenn man so jemandem rät, beim Solo zwischendurch zu pausieren, muss man natürlich damit rechnen, dass sich die Kraft, die er in der Pause sammelt, in einer nochmals gesteigerten Lautstärke niederschlägt, die dazu geeignet ist, selbst einen lärmerprobten CMO von seinem Platz zu vertreiben. Ich bin gespannt, wie das am Sonntag laufen wird, wenn noch Mikros und Verstärker ins Spiel kommen. Ganz Schwetzingen wird jubeln!

Machen wir an dieser Stelle Schluss, denn ein vollständiger Bericht von allen 17 Stücken würde alle Grenzen sprengen. Kommen Sie stattdessen einfach am Sonntag um 11.00 Uhr auf die Kleinen Planken in Schwetzingen, seien Sie gesellig und entspannt, trinken Sie um 11.00 Uhr die erste Rieslingschorle, freuen Sie sich über 17 wunderbare Bigband-Nummern und genießen Sie das Leben, denn dafür ist es da.